2. Oktober 2011

Christoph Marzi - Memory. Stadt der Träume

2011, Gebunden, 319 Seiten
€ (D)14,99 | € (A) 15,50
ISBN 978-3-401-026622-6

So oft er kann, flüchtet Jude Finney sich auf den Highgate Cemetery, einen der ältesten Friedhöfe Londons. Hier trifft er all jene Gestalten, die an dem seltsamen Ort zwischen Traum und Realität ihre letzte Zuflucht gefunden haben. Und hier stößt er eines Nachts auf das geheimnisvolle Mädchen, das keine Erinnerungen, ja nicht einmal mehr einen eigenen Namen bestizt. Ihre Haut leuchtet. Doch zugleich fühlt sie sich warm an, wie jemand, dessen Herz noch schlägt.
Bald ahnt Jude, wie groß die Gefahr ist, in der die Fremde schwebt. Als er erkennt, dass er der Einzige ist, der ihr helfen kann, ist es fast schon zu spät.


Was ich denke ...
"Die Stunde, in der das Mädchen ohne Namen seine Geschichte verlor, war die letzte des Tages. Die Nacht aber, in deren gläsernem Gewand diese Stunde schlug, schien der Anfang von allem zu sein."
- S.7

Christoph Marzis außergewöhnlichen Schreibstil - meiner Meinung nach außergewöhnlich gut - mag man entweder, oder eben nicht. Um diese Rezension für bekennende Marzi-Fans abzukürzen: Ihr könnt gar nichts falsch machen, auch "Memory" zu lesen. Ihr werdet es ganz sicher mögen!

Für alle anderen muss ich schon etwas spezifischer werden, weil ich finde, dass "Memory" nicht das Beste ist, was Marzi je geschrieben hat. Vor allem hatte ich mit der weiblichen Hauptfigur, dem "Mädchen ohne Namen", das von den Geistern des Highgate Cemetery bald "Story" genannt wird, meine Problemchen. Story bleibt sehr lange eine blasse Figur - vielleicht bringt das auch einfach ihre Hintergrundgeschichte mit sich. Nicht nur weiß der Leser nichts über sie, auch sie selbst hat keine Ahnung, wer sie eigentlich ist. Und irgendwie bestätigt das genau das, was Marzi in "Memory" schreibt:

"Namen sind wichtig. Man braucht sie, um die Seele des Menschen zu erfassen [...]."
- S. 193

Ich möchte dem Autor daraus jetzt wirklich keinen Strick drehen, aber abgesehen davon dass sie hübsch ist und für einen Geist zu lebendig wirkt, erfährt der Leser fast nichts über Story. Auch die Gespräche zwischen ihr und Jude sind zaghaft und - manchmal hatte ich den Eindruck - ziellos.
Besser wurde das erst im letzten Drittel des Buches, da konnte ich dann richtig mit Story mitfühlen.

Mit Jude war das ganz anders. Ein Gitarre spielender Lockenkopf, der sich in seiner Freizeit auf den Friedhof flüchtet, um mit ihnen Partys zu feiern. Christoph Marzi macht es einem mit seinen schönen Formulierungen unglaublich leicht, sich diese Begebenheiten in strahlenden Bildern vor Augen zu führen. Wirklich, "Memory" ist (wie alles von Marzi) so schön geschrieben, dass man jeden Satz zwei Mal lesen möchte. Oder sehr langsam und auf jeden Fall wortwörtlich. Verpassen sollte und möchte man bei Marzi keine Silbe!

Wie so häufig spielen neben den zentralen Handlungselementen - Geister und eine wahrhaftig gesichtslose Bedrohung - vor allem Musik und London eine große Rolle. Der Leser darf sich über zahlreiche Erwähnungen von Songs und Bands freuen, altbekannte Größen aber auch neues wie etwa die Band "Scouting for Girls", die - zu meiner persönlichen Freude - sogar zwei Mal auftauchte. Dass Jude selbst einem bekannten Beatles-Song zu entstammen scheint, muss ich eigentlich nicht extra erwähnen. ;)
Leser, die selbst schon in London waren, werden außerdem nebenbei einfließende Informationen wiedererkennen. Zumindest ich habe mich gerade deswegen während des Lesens selbst nach London gewünscht. Es gibt einfach kaum einen Autor, der diese Stadt so real und gleichermaßen nebulös zu beschreiben und zu präsentieren vermag.


Bewertung
Für Marzi-Fans ein Must-Read! Für alle anderen auf jeden Fall eine Überlegung wert - oder auch zwei, wenn die erste Entscheidung negativ ausfällt ;)
Und wer nach der Lektüre noch nicht genug von Londons Friedhöfen hat, der kann sich gleich auf die Reiseführer-Empfehlungen im Nachwort stürzen. Ich zumindest geh jetzt mal recherchieren ...


6 Kommentare:

katrin.books hat gesagt…

Klingt interessant. Ich mag Marzis Schreibstil auch sehr gerne. Lycidas und Co. hat mir richtig gut gefallen :) Das Buch werd ich mir merken.

Sue hat gesagt…

Von dem Autor habe ich bisher noch gar nichts gelesen, aber der Schreibstil hört sich bei den Zitaten wirklich sehr schön an. Ich glaube, ich muss dem Buch auf jeden Fall mal ne Chance geben :)

StefanieEmmy hat gesagt…

@Katrin: Dann wirst du Memory auch mögen :)

@Sue: Noch gar nichts? Dann wirds aber höchste Zeit! :D Mein erstes Buch war "Heaven", ich glaube, das eigent sich ganz gut :) "Lyidas" ist halt genial aber auch sehr dick ;)

Diane hat gesagt…

*Hibbel*
Ich werde ganz unruhig! Ich muss ja gestehen, dass ich als Fan trotzdem nie über die Metropolen-Reihe hinaus gekommen bin. Ich habe eine Leseprobe von "Grimm" gelesen und wollte es mir noch unbedingt zulegen, aber derzeit habe ich hier wieder ein Rezi-Stapel liegen, der abgearbeitet werden muss.
Aber Memory spielt in London und allein das Grund genug, es auf jeden Fall im Hinterkopf zu behalten!

StefanieEmmy hat gesagt…

Grimm hat mir total gut gefallen *.* Musst du unbedingt auch noch lesen wenn es der Rezi-Stapel zulässt ^^

Nanni hat gesagt…

Qualifizierter Kommentar meinerseits:
Ich bin ein großer Marzi Fan. ;)


Schreibe mir immer tolle Zitate von ihm auf, weil sie so toll, poetisch und auch klug sind.
Freue mich schon sehr auf "Memory"